Texts

NARCISSOS –
DAS 2. SONETTENBUCH

ERSTER TEIL

I.

1.
nun wird es kühl, des tages auge bricht,
es verstummt der chorus der zikaden,
doch da unten, auf dunkelnden pfaden
irrend finden wir die ruhe nicht.

mühsam tragend noch des tags gewicht
und schon des dunkels fürchtend, angstbeladen
müssen wir durch unsre nächte waten,
und sehnend sehn, wenn unser müd` gesicht
emporheben wir noch aus diesem tal:
die wolken, die zum allerletzten mal
sich auftürmen und wall`n, erhellt vom goldnen
glanz von einem wunden sonnenstrahl,
die wolken, als ob sie nie enden wollten:
die ewig über uns ziehenden wolken

2.
In Hainen und auf Wiesen, unter Felsenhalden,
an Ufern stiller Seen, an wildschäumenden Flüssen,
sammeln sich da Frauen- und Knabengestalten,
um den Tag mit Tanz und Gesang zu begrüßen.
Sie necken sich und spielen an sonnigen Gestaden,
vor allem aber jeder will den Einen küssen,
den Anmutigsten, Schönsten unter allen Knaben,
sein Gesang bewundern, seine Stimme fein;
sie lachen entzückt, auch jene der Najaden,
die, wenn niemand hinschaut, weinen insgeheim.
Dann neigt die Sonne und es ist nicht mehr zu leugnen,
wie müde einen machen kann der süße Wein.
Sie legen sich da nieder unter Eichenbäumen –
bis Morgen werden alle von der Liebe träumen.

3.
„Ich weiß es ganz und gar nicht, wie all die Musen heißen,
wo sanfte Rehe gehn und frohe Meisen rufen,
von dort hab ich die Lieder, die mir im Busen reifen,
sie waren es immer, die meine Weisen schufen.

Denn immer in der Frühe, wenn die Fluren gleißen
und die Wiese lacht mit keuschen, weißen Blumen,
der Wald ertönt, der Frühling singt, es rufen Meisen
dann kommt ein zahmes Reh zu mir auf leisen Hufen.—-“

Der Knabe sang so, sorglos, heiter und nicht ahnend,
in seiner Nähe stets, sich am Gesang erlabend
eine kleine, treue Schar von Nymphen blieb,
ihm heimlich folgend überall. Und als der Abend
anbrach und der Schlaf noch seine Lider mied,
sie sangen ihm sein Lied leis nun als Wiegenlied.

4.
“Ach, wie kahl dies traurige Tal, wie dort die
Quelle einsam ist(…einsam ist), wie verschwunden all die
fröhlichen Spielfreuden, ich fühlte mich noch
nie so alleine.(…so alleine)

Doch, ist jemand hier?(…ist jemand hier?)Die mit meinen eignen
Worte gibt auf meine Lamenti Antwort?(…Antwort?)
Ich frage mich, was wär´s, wenn ich sagte:“Bleibe!(…bleibe!)
Liebste, oh bleib noch!“?(…Liebste, oh bleib noch!)

Doch es langweilt mich, wie sich ohne Sinn die
Worte widerhall`n(…widerhallt), habe keine Zeit, mich`s
durstet auch, so, lust`ge Gesell, genug, das
Spiel ist zu Ende!”(…zu Ende!)

Und er ging hinab zum Quell und beugte sich
darüber und im Wasserspiegel erblickte sein Gesicht.

5.

– Wer bist du? Wo, an welchen Orten
verbargst du deine Schönheit, unbekannt?
Wo kommst du her und wie bist du genannt?
Darf ich dich gar ansprechen mit Worten?

Und was ist aus mir selber geworden?
Von welcher jähen Sehnsucht übermannt
spüre ich erzittern mir die Hand,
und Flut der Triebe in mir überborden? –

Oh Augenblicke, die vergehn und ewig dauern!
Oh lange Blicke, die erschrecken und bezaubern!
Der Knab, von seinem Spiegelbild gebannt,
fühlte sich im ganzen Leib erschaudern.
Dann stand er auf; die Welt, einst so verwandt,
war ihm, als hätt` er sie erst jetzt erkannt.

6.

Was einst mir schön und lieb war, spür` ich alles modern,
ich will nur deine niegeahnte Schönheit staunen,
hinter deinem Bildnis in die Zukunft schauen,
die mir aus deinen Augen leuchtet, lichterloh, fern!

Und ahne, fühle ich die Lust schon fiebernd lodern,
und höre, wie im Rausche, ihre Stimme raunen:
„die gestern deine Schwestern waren, sind nur Frauen;
zu lieben und verlassen, zu hassen und erobern.“

Ich weiß noch nicht, welch Gift und was für ein Gestein
zu welchem Sud in meines Lebens Tiegel schmilzt;
ich ahne nur, daß einmal dieser vage Schein
der Meine wird und ich selber werde Sein,
und auf meinem Schicksal ein ewges Siegel wird,
daß wir uns erblickten: ich und mein Spiegelbild.

7. / Doppelsonett /

Aus diesem seltsam fremdgewordnen Wald
ist mit dem Vogelsang, dem ganzen bunten
Leben letztlich mein Zuhaus verschwunden.
Und doch bleibt es mir im Herzen kalt.

Wofür dereinst mein ganzes Werden galt,
wo ich stets ein trautes Heim gefunden,
die heile Welt, die Heilung aller Wunden:
Wald, nun muss ich dich verlassen bald.

Zu laut ruft mich bereits das Abenteuer,
beschwört mich der Lust fernlockender Klang,
um zu versprechen: ich bleibe dein teuer
Sohn; es lodert schon zu hoch das Feuer.

Doch: es bleibt im Herzen mir so bang,
wenn ich dir jetzt singe den letzten Gesang:

Als ich noch König war im Hain,
und Blumenkranz war meine Krone,
als ich noch Seinder war, ohne
dafür geboren worden zu sein;
als ich all die Nymphen mit frechen
Streichen neckte und zum Lohne
Küsse bekam, als ich, ohne
irgendeine Sprach zu sprechen,
und zu verstehn in ihren Küssen
die Tränen, die ich mit frohem Hohne
nahm, oh sag mir, als ich, ohne
dafür gestorben sein zu müssen,
unsterblich saß auf der Jugend goldnem Throne,

hast du mir in deinem Boot schon Platz gemacht, Charone?

II.

8.
/Doppelsonett/

Wenn das leichte Fallen ein`ger losen Locken,
geheimes Schattenspiel der Kleiderfalten
dich erzittern lassen, deinen Atem stocken;

wenn Begierden, kaum noch auszuhalten,
aus dir einen armen, taumelnden Verrückten
machen; wenn, gebannt von zart bemalten

Lippen, von dem Augenglanz, von süßen Düften
der Haut vermagst dich nicht mehr abzuwenden;
wenn das Wallen und die Schwingungen der Hüften,

jene zarten Linien, wo Lenden
und Rücken sich ineinanderschmiegen, dich erbeben
lassen, du willst nur daran verenden,

wenn sinnlos wird dir alles andre Streben,
und stehst nur, wie gelähmt, vor solcher Füll` von Leben:

Dann gib es endlich auf und gib dich hin,
wohin dich auch die Peitschenschläge deiner Lüste
treiben, du wirst getrieben sein mithin.

Bald verdursten wirst du in der heißen Wüste
des Bauches, retten werden dich die warmen
Hände und das sanfte Wellenspiel der Brüste,

doch befreist du dich aus ihren Armen,
denn es treiben dich vorwärts die Peitschenhiebe
deines Drangs, beharrlich, ohn` Erbarmen,

weiter hinab, zur Wiege aller deiner Triebe,
in die Ohnmacht, wo das letzte Licht und
der letzte Weg verschwinden, wohin der Sog der Liebe

dich zieht, in der einzig wahren Richtung,
wo sich dunkel öffnen Friede und Vernichtung.

9.

Oh süßes Gift. Durchtränke mich
nun gnadenlos mit deinem Feuer,
zerstöre alles, was mir teuer
war und schone meine Kräfte nicht.

Komm, lass mich von mir selbst befrein,
all des Fleisches Sünden los
lass mich nur sein: zitternd und bloß;
es bleibt nicht mehr zurück. Allein

der Wein, der weinend seine Farben
der ausblutenden Rose gibt,
die glückbetäubt in ihren Armen
stumm, wie in Narkose liegt,
der neue Schmerz der alten Narben…
…stille ihn, oh süßes Gift.

10./Chanson/

Sie ist eine Insel, gesandt vom fernen Meer.
Er ist hier gelandet, weißt nicht mehr, wann und wie.
Sie: entdecke mich, komm, hier meine Schätze, sieh!
Er: ich kann ja bleiben, kann aber nicht mehr.

Sie: wie ich vor dir steh`, machtlos, ohne Wehr!
Er: ich sagte dir nie: immer, ich sagte immer: nie.
Sie: ich reiche dir alles, siehst du, auf dem Knie!
Er: ich muss jetzt gehen. Fühle mich so leer.

Wie einst erschien, von fernem Meer gesandt,
so verschließt sich wieder dies einsame Land.

Sie(man sieht noch) die bittenden Hände hält,
Er (man hört noch) sagt etwas lustiges, galant,

und betrachtet, daß, kaum kennengelernt,
verschwindet für immer diese fremde Welt.

11.

Liebe, sinnlos, aufgezwungen,
peinlich, zum Leidwesen beider,
dieselbe Demütigungen
zum tausendsten Mal: suche weiter!

Wenn, vom scharfen Blick geschunden,
Eifersucht bedeckt, wie Eiter
die tiefblutenden Liebeswunden:
reiß sie doch auf! Suche weiter!

Wir wollen heulen, müssen aber heiter
bleiben und wenn einmal das Glück errungen:
ertragen dann den Neid der Neider;

machtlos, enttäuscht, voll von Ekel,
so tief wie noch nie gesunken
mit aufgeriss`nen Fingernägeln suche weiter! Suche weiter!

12.

Oh Nacht. Geboren aus dem dunklen Glänzen,
das in des Auges Tiefe wächst,
vertilgst du langsam jeden Rest
der uns trennenden starren Grenzen;

in der Sternen stummen Kränzen
aufgelöst wird all das fest-
gebundne Irdische; so läßt
du ahnen nur die süßen Schmerzen,

die sich, zeitlos, im Rausche wiegen…
Dann kommt die Helle. Winkt den Schatten,
die verblichen sich zur Erde biegen,
und im fahlen Licht, in matten
Fetzen ihrer dunklen Pracht
gebrochnen Auges liegt die Nacht.

13.

Wird es mir jemals gelingen
zu verachten diese nackte Lust?
Daß es so schwer sei, hab ich nie gewusst,
über mich hinweg die Anderen zu finden.

Vielleicht ich selbst, mein Suchen und mein Ringen
schrecken sie zurück, die wilde Liebesjagd?
Sie starren mich nur an, stumm, und niemand wagt,
sein Leben an das meinige zu binden.

Kommt da Eine, wird sie mich verzeihen?
Die meine losen Gesten in ihre Hände nimmt?
Werde ich mit ihr in fröhlichen Reihen
der Anderen, der Glücklichen verweilen?

Wie reife Frauen sehnen sich nach einem Kind,
so wünsch ich mir die Liebe, die wahrlich mir entspringt.

14.

Wenn die kalten Schatten deiner toten
Nächte aufdämmern in einer nicht
geahnten Hoffnung, einem blassen Licht,
und aufglänzen mit Silber angeflogen;

wenn dieses Licht, vielleicht aus ihren weiten,
tiefsten Inneren steigend nach oben
– als wär es ihr endlich befreiter Odem -,
erhebt sich allmählich von allen Seiten,

erhellt, durch seine strahlend warme Kraft
das Kristallgewölb der Himmelshallen;
wenn, verzaubert, überall, in allen
Winkeln glänzt und feiert deine Nacht:
erkennst du endlich, auf das Knie gefallen
und verstummt, erkennst du dann der Liebe Macht?

ZWEITER TEIL

I.

1. /Intermezzo/

Da ging ein Mädchen einsam durch den Rosengarten,
die Blumen streichelnd sanft mit taudurstenden Händen,
oh, wie sie sich nach der klaren und kühlenden
Nässe sehnte! Diese Blumen doch verbargen
nichts, sie blieben leer, sie blieben trocken.
Dann versuchte sie, die Blüten zu entfalten,
um die Düfte ihrer Tiefe zu entlocken,
einen Atemhauch nur; – spürte aber keinen.
Das Mädchen wollte sprechen, doch fand keine Worte.
Sie hatte nichts zu sagen.——Auch es
versiegten ihr die Tränen, als sie weinen wollte.
So ging sie weiter in dem Garten, trocknen Auges:
zwischen stummen Rosen, in trauernden Hainen
suchte sie das Tauen, das Duften und das Weinen.

2.

In grauen Sümpfen waten,
stolpern über Stein,
durch dichten wilden Wein
und dornigen Lianen,
kein Woher und kein
Wohin ist hier zu ahnen,
nur gehen ohne Fragen,
ohne Sinn, allein,

die Last und zähe Pein
des Weitermüssens tragen,
vom Schweiß geblendet raten,
wo die Wege sei`n,
bis, ins Blut geraten,
in einem lichten Hain
halten endlich ein,
schwindelnd, außer Atem…

Stille. Es finden langsam deine Sinne Halt.
Beruhigen sich die zitternden Glieder,
und hinter der Wildnis siehst wieder den Wald.

Bäume beugen sich zu dir dann nieder,
Vögel singen – hörst du?- deine Lieder…
hab` keine Angst. Frei und leer wanderst du wieder.
/ Frei und leer wanderst du bald./

3.

Vage Blicke, die sich niemals kreuzen,
verleg`ne Gesten, jene leisen
Worte, die ins wehe Herz des Stolzen

tiefschmerzende Wunden reißen,
daß er, trostsuchend, zu der Andren eilt,
deren Worte ihm verheißen,

daß die Liebe alle Wunden heilt;
Auch sie blüht auf und leise hofft:
ihr werden nicht dieselben Wunden ausgeteilt,

sie spürt die Regung, wie ihr das Herze klopft;
doch sie sieht schon seinen Blick vereisen,
und weiß: wie schon so oft, es fängt mit Seufzen
von vorne an, denn es ist das eisern
Gesetz, es dreht sich alles nur in diesen Kreisen:

/Vage Blicke, die sich niemals kreuzen,
verwegne Geste, jene leisen
Worte, die ins wehe Herz der Stolzen

tiefschmerzende Wunden reißen,
daß sie, trostsuchend, zu dem Andren eilt,
dessen Worte ihr verheißen,

daß die Liebe alle Wunden heilt;
auch er blüht auf und leise hofft:
ihm werden nicht dieselben Wunden ausgeteilt,

er spürt die Regung, wie ihm das Herze klopft;
doch sieht er schon ihr Blick vereisen,
und weiß: wie schon so oft, es fängt mit Seufzen
von vorne an, denn es ist das eisern
Gesetz, es dreht sich alles in diesen Kreisen:/
/da capo/
4.

5.

Wie lange habe ich denn euch entbehrt,
oh Menschen, wie oft gebetet und geflucht!
Wie im Spiegel, sahe ich die Welt verkehrt,
zwar immer gehört, was mir die Wahrheit lehrt,
zu begreifen habe ich erst jetzt den Mut:
jedem allein, der keine Liebe sucht,
wird auch keine Liebe dann verwehrt.

Und doch, gab es – wie wunderbar! – Zeit,
die lächelnd schenkte mir ihr launisch Glück,
wie wenn von leisem Winde die Wolkenschar weicht,
und sich keusch und schüchtern ein Sonnenstrahl zeigt!
–Doch es war weit und nur ein Augenblick.
Es zog sich zu; die Hoffnung, einem rauhen Stück
Lehm gleich, zerfiel im Dauerregen der Wahrheit.

6.

Nacht. Lang und vergeblich um den Schlaf gerungen
lag ich, ohne Hoffnung, leer. Der wacht, lügt
nicht mehr: er sieht, wie sein Leben brachliegt.–
Doch plötzlich hört ich Stimmen durch die Nacht gedrungen:

„In blumigen Arkaden sind wir hier zu vielen,
auf ein paar Oliven sind wir eingeladen,
um in kühlen Dielen in Rosenduft zu baden,
zu lieben und zu laben, zu lachen und zu spielen.
Doch sollt` es einer wagen, auf unser Glück zu schielen,
geh` er nun mit Frieden, uns kann er nicht schaden,
denn ich und meine lieben Nymphen und Najaden
längst aus unsren Armen in Morpho`s Armen fielen.“

War es Wahrheit? Sang ich dies Lied? Sinds meine Erinnerungen?
Gibts noch Traum, der ungeträumt blieb? Gibts noch Gesang, ungesungen?

7. /Doppelsonett/

Zuletzt kam der Wandrergesell in einen
verwunschenen Wald, dessen graue Bäume
einst Menschen gewesen, die ihre Träume
gehabt hatten und ihre Freud` und Leiden;
er ging dort zwischen kahlgewordnen Weiden,
erstarrten Eichen, berührte ihre Wunden,
rief und frug sie nach Vergangenheiten,
nach Vergessenem, nach heiter-bunten
Erinnerungen, er bat die Verstummten
um eine Antwort, um ein Lebenszeichen…
bis er, nach langen, vergeblichen Stunden,
machtlos, wie verhöhnt von diesem Schweigen,
dachte sich,erschöpft auf den Boden gesunken:

Ist es nun das Ende meiner Wanderungen?

Wald, mein Wald der Kindheit, am Anfang eines weiten
Weges hieltest du mich und warst immer da.
Doch wo war ich, als deine Verwandlung geschah?
Und wessen Grün soll mich jetzt auf meinen Wege leiten?

Was führt weiter mich auf meinem Bann?
Wollten auch so manche früher mich begleiten,
ich ließ es zu und verließ sie irgendwann.
Erst jetzt verstehe ich ihr stummes Leiden,

jetzt seh ich, daß mir die Ewigkeit entrann
mit ihnen.Oh Wald! Wem soll ich jetzt beichten,
was ich dir zu sagen tausendmal ersann?

Ich kann nicht weiterziehn, ich kann auch nicht bleiben.
Ich kanns nicht. —-Das Ende ist es, wenn man
wieder vor dem Anfang steht und nicht kann.

II.

8. /Doppelsonett/

Irgendwann kommt jeder an bei dieser Quelle,
um wiederzufinden jenen wahren Kern,
aus dem entsprungen war dereinst das flüchtge, schnelle
Leben, das ihn versteckt hält dann mit seinem Lärm.

Irgendwann doch mag dies Leben nichts verbergen,
die Wandrer beugen sich über dem klaren Quell,
wie Kinder, neugierig und leer, bereit zu lernen
sehen sie ihr Schicksal endlich wieder hell.

Der eine sieht Geld, die andren Gott oder das Bild
einer Geliebten…und alle, ist ihr Durst gestillt,
sie stehen alle auf, um weiterzugehen.

Es gibt aber auch jene, welche
in dieser kristallklaren Quelle
nichts anders, nur die Quelle sehen.

Diejenige sind es dann, die bleiben,
die nie die Sehnsucht nach der Quelle trieb,
weder Suchen, noch Zweifeln noch Leiden,
noch verlockend eine ferne Lieb.

Denn durch ihr hingebungsvolles Lieben,
durch das Bangen und durch alles Leid
ist fest in ihrem Herz gefasst geblieben
das Schimmern jener ewgen Helligkeit.

Sie brauchen des Quells heiter-reine Tropfen
nicht, um sich zu täuschen und zu trösten,
es blieben ihnen keine Fragen offen.

Sind es die Befreiten, die Erlösten?
Bekamen sie vielleicht eine der höchsten
Gaben, die wir uns seit je erhoffen?

9.

Da ist der Quell. Ich bin angekommen endlich.
All die Menschen, die gehässigen und lieben
mit ihrem Getue sind hinter mir geblieben.
Wir sind zu zweit: ich und du, du und ich.

Wie einst angefangen, so endet die Suche.
Du bist da und ich kann dich nicht erreichen
um mich von dir endlich zu befreien,
und ich fluch` und flehe, fleh` und fluche:

Siehe, wie deine Schönheit verwest
in meinen Tränen, und die Meine
in deinem Weinen, so eins sind wir beide!
Du vergehst, wenn ich vergehe! Und ich vergehe, wenn du vergehst.

– Erschöpft sank er auf den Boden nieder,
schlief ein und erwachte; schlief und erwachte wieder.

10.

Was mich so lang in seinem Banne hielt,
verschwunden, aufgelöst. Der Schein betrügt
den Durstenden nicht mehr, der Quell, betrübt
von meinen Tränen, zeigt nicht mein Gebild.

Die Wahrheit ist gewiss nicht mehr gewillt
den Spiegel zu spielen. Es genügt
jetzt still zu sein, nur sein; so leise rügt
die Weisheit, die aus dieser Quelle quillt.

Die Augen sind versiegt, versickert auch die Worte.
Und in diesem Schweigen, das im stummen Wald
mir widerhallt, erkenn ich, die ich nie kennen wollte,
sie, die Einzge, der nie meine Liebe galt,
die Erste, die mich liebte, die Betrogne, Holde:
Echo, ihre niegesehene Gestalt.

11.

Einst hört ich meine Worte aus deinem Munde wieder,
und ich lachte dich aus, so groß war noch die Welt.
Ich wollte niemand, die nach mir die Hände hält,
ich lachte und du lachtest! wie war es mir zuwider.

Allein wollte ich sein, geheimnisvoller Sieger,
in den Augen aller der einsame Held;
erst jetzt seh ich, als mein Gesicht in Stücke fällt:
du allein warst mir der einzig wahre Spiegel.

Sieh, wie du damals, kann ich nur noch flehen:
komm und nimm endlich zurück aus meinen wehen
Händen, wenn auch nur in Scherben, mein Gesicht;
komm, statt seiner laß mich nun dein Antlitz sehen!
Ich rufe nach dir, hörst du, daß meine Stimme bricht:
Jetzt, oh Echo, warum antwortest du nicht!?

12.

An der Stelle, wo das Wasser ruht,
kniet ein Jüngling, im leichten Gewand,
er starrt vor sich hin, reglos, wie gebannt,
und sieht er endlich, da er nicht mehr sucht.

Kein Bitten, Flehen, keine blinde Wut
trüben den Quell. Überm gelben Sand
glitzern Fische, Käfer, allerhand
Getier: des Lebens immergleiche Brut.

Dies Gewühl ist kein Ort für Verstand
und Gefühle, Derben und Genesen.
Kein Spiegel mehr, keine trennende Wand.

Ort der Vereinigung. / der Jüngling beugte sich näher und näher. Er berührte beinah das
Wasser…näher noch…noch näher…und entschwand/
An der Stelle, wo einst ein Mensch gewesen,
eine Blume wuchs: unser gemeinsames Wesen.

13.

Blumen, Millionen Blumen, Milliarden,
Hyazinten, Lilien, rottriefende Rosen,
unsterblich frohe Schar der Namenlosen,
über alle Grenzen bunt ziehende Garden,
Gänseblümchen, Nelken und Narzissen,
die ihr der Erd` von unsrem Gift geätzten Narben
mit eurem Dufte heilet, versteckt in euren Farben,
tausendmal zertreten, ausgerissen,
doch nimmer müd` euch aufzurichten, zu erheben
eure Blüten, jene unbesiegbar zarten,
die über grünen Wiesen beinahe zu schweben
scheinen…Wo, im welchen paradies`schen Garten,
im welchen Himmel sollte es denn geben,
wenn nicht in eurem Kelch: ewiges Leben?

14.

nach und nach erwachen blum` und lauch,
die erstarrten glänzen auf und tauen,
aus ihrem ersten atemzug, im lauen
wind erhebt sich der nacht letzter hauch.

er ist nichts mehr noch als leichter rauch,
zögernd über reglos stillen teichen;
dann trennt er sich gemächlich von den bleichen
nebelschwaden, vom wasser, verläßt er auch

das schilf und schwebt hinauf, vorbei an den auen,
nach oben schwebt er über weiche eichen-
hainen, die dann allmählich dem grauen,

stillen reich der buchenwälder weichen;
und weiter noch nach oben, wo die rauhen
tannen ihre ewig ruhe hauchen